Erhebliche Zweifel daran, dass das neue Niedersächsische Polizeigesetz (NPOG) verfassungsgemäß sei, bestimmten das Meinungsbild unserer gestrigen Mitgliederversammlung. Alexander Saipa, Generalsekretär der Niedersachsen-SPD, war gekommen, um mit Mitgliedern und Gästen über das NPOG zu diskutieren.
Die Kritik galt grundsätzlichen Fragen wie der Verfassungskonformität und Verhältnismäßigkeit der im NPOG vorgesehenen Maßnahmen wie auch einzelnen dieser Maßnahmen.

Alexander legte in seinem Eingangsstatement die Genese des NPOG, einschließlich der Vorgeschichte unter der rot-grünen Landesregierung bis 2017, dar und ging auf wesentliche Kritikpunkte am NPOG-Entwurf ein. Dabei konzentrierte er sich auf drei wesentliche Kritikpunkte, die Präventivhaft (den sog. Unterbindungsgewahrsam), den Einsatz von Tasern und die erweiterten Möglichkeiten zur Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ).

Die anwesenden Mitglieder bemängelten zwar auch diese drei Punkte, doch zielten die Kritik und die Fragen weitgehend auf grundsätzliche Aspekte – und zwar mit Blick einerseits auf das Gesetz an sich als auch andererseits auf die (Sicherheits-)Politik der SPD.

Eine Anpassung des Polizeirechts an moderne Herausforderungen sei zwar legitim, aber nicht in dieser Form. Das NPOG sei eine „Mogelpackung“, das angeblich Schutz vor islamistischem Terrorismus bieten solle. Tatsächlich aber sei es unverhältnismäßig und verfassungswidrig – insbesondere der Unterbindungsgewahrsam. Es hebe die Trennung zwischen Strafermittlung und Gefahrenabwehr auf. Damit stelle das NPOG einen weiteren Schritt auf dem Weg der Verschärfung des Polizeirechts dar.

Hingegen zeigten sowohl der Blick in die jüngere deutsche Geschichte als auch der Blick nach Frankreich, dass das deutsche Recht bereits durchaus wirksame Maßnahmen zur Terrorabwehr biete, sofern sie sachgerecht angewandt würden; demgegenüber hätte die Verschärfung der Sicherheitsgesetze in Frankreich keinen wirksamen Schutz gegen Terroranschläge gebracht.

Da Polizei und Justiz bei der Terrorabwehr auf der Grundlage von Wahrscheinlichkeiten agieren müssten, sei auch der Richtervorbehalt keine wirksame Sperre gegen Willkür.

Bezweifelt wurde die Notwendigkeit von Taser-Einsätzen. Zwar sei das Gesetz hier einigermaßen klar, doch stünden SEK im Allgemeinen nicht bewaffneten Bürgerinnen und Bürgern gegenüber – anders als in den USA.

Gefordert wurde, die personelle Ausstattung von Polizei und Gerichten zügig zu verbessern – die hierzu unternommenen Schritte in den letzten Jahren seien sehr zu begrüßen, reichten aber nach wie vor nicht aus – und die Aufklärungs- und Exit-Einrichtungen für jede Form von Extremismus und die vorhandenen Vorschriften und Möglichkeiten konsequent zu nutzen. Stattdessen beschädige des NPOG das positive Bild von der Polizei als „Freund und Helfer“ und baue ein Bild des martialischen „Cop“ auf.

Deeskalation sollte sich nicht auf polizeiliches Handeln beschränken, sondern auch von der Politik betrieben werden – das NPOG hingegen unterstütze die Polarisierung im gesellschaftlichen Diskurs, schüre Angst und trage damit zur weiteren Spaltung der Gesellschaft bei. Das Gesetz suggeriere eine allgemein wachsende Gefährdung, obwohl die Zahl der Straftaten in den Kriminalitätsstatistiken seit Jahren rückläufig sei. Und es suggeriere eine Gefährdung durch Terror, ohne diese mindern oder gar unterbinden zu können. Der Eindruck, dass das NPOG rechtem Populismus folge oder diesen sogar verstärke, werde dadurch gestützt, dass offenbar die allgemeine Gefährdungslage im ländlichen Raum als bedrohlicher eingeschätzt werde als in den Städten, obwohl in den Ballungszentren eine deutlich größere Gefährdung bestehen dürfte.

Damit beschädige das NPOG auch die SPD. Dass Sicherheit für die Menschen einen Stellenwert besäße, stehe außer Frage; allerdings müsse gerade die SPD einerseits – auch vor dem Hintergrund ihrer eigenen Geschichte, vor allem aber angesichts ihrer Grundwerte von Freiheit, Gleichheit, Solidarität – einer Einschränkung von Bürgerrechten die Stirn bieten und gerade verfassungsrechtlichen Bedenken Rechnung tragen; andererseits müsse die SPD unter Sicherheitspolitik mehr verstehen als Ordnungspolitik. Eine aktive Sozial- und Bildungspolitik seien die beste Prävention. Stattdessen folge die Niedersachsen-SPD nun einer populistischen Sicherheitschimäre.

Die SPD sollte Schünemann in die Schranken weisen und – ungeachtet des Koalitionsvertrages – darauf insistieren, dass eine verfassungswidrige Polizeirechtsnovelle mit ihr nicht zu machen sei. Wenn die SPD für sich in Anspruch nehme, mit dem NPOG die Ängste einer zunehmend verunsicherten Bevölkerung ernst zu nehmen, dann müsse sie auch die Ängste derer ernstnehmen, die vor einer Einschränkung der Bürgerrechte und vor einer Verfassungswidrigkeit des NPOG warnen. Sollte das NPOG, wie zu erwarten, von den Verfassungsgerichten kassiert werden, werde die Landesregierung und damit auch die SPD erheblich beschädigt.

Informationen zur Debatte um das Niedersächsische Polizeigesetz (NPOG):