Aus unserem Ortsverein: "Was ist Armut?" - Diskussion mit Kerstin Tack

"Was ist Armut?" - Die erste Antwort darauf ist die Definition von Armut in Deutschland, wonach als arm gilt, wer über weniger als 60 Prozent des Einkommens verfügt, das die deutsche Bevölkerung im Durchschnitt bezieht. Durch diese Größe ist die Schwelle der Armutsgefährdung in unserem Land recht niedrig, erklärte Kerstin Tack in ihrem Impulsvortrag bei unserer Mitgliederversammlung. Kerstin war bis 2021 unsere Bundestagsabgeordnete, sie wechselte bald danach an die Spitze des niedersächsischen Landesverbandes des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.
Gelten in Niedersachen 8,7 Prozent als armutsgefährdet, so sind es in unserer Stadt 15,5 Prozent. Je höher die Zahl der Kinder in einer Familie ist, desto höher geht dieser Wert; bei Alleinerziehenden gilt nahezu die Hälfte (43%) der Haushalte in Hannover als armutsgefährdet. Kinder, so Kerstin, seien also das größte Armutsrisiko in unserem Land. Allerdings, schränkte sie ein: "Man wird größtenteils nicht in Armut geboren, sondern gerät in einer bestimmten Lebensphase hinein."
Gleichwohl brächte dies geringere Chancen auf Teilhabe mit sich, und wer als Kind arm oder von Armut bedroht sei, habe auch geringere Bildungs- und Karrierechancen und damit auch kaum Aussicht auf ein höheres Einkommen im Erwerbsalter. Aber - so Kerstin: "Was kann man tun, damit die Eltern, insbesondere Alleinerziehende, in eine bessere Situation kommen?" - Dazu hatte die SPD, unter wesentlicher Mitwirkung Kerstins, das Konzept der Kindergrundsicherung entwickelt, die eine der zentralen Forderungen im Programm zur Bundestagswahl vor drei Jahren war.
Mach Komplexität einfach - das ist die Idee hinter der Kindergrundsicherung.
Die Idee dahinter: die 157 familienbezogenen Leistungen in einem einzigen System zusammenfassen, das auf zwei Säulen beruht - nach dem Motto: "Mach Komplexität einfach!" Die eine Säule stellt die Infrastruktur da, also beitragsfreie Bildung von der Krippe an mit einem entsprechend ausgebauten Netz an Einrichtungen, die kostenfreie Nutzung eines deutlich besser ausgebauten, barrierefreien öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) durch die Kinder, ein Teilhabekonto mit einem monatlichen Guthaben von mindestens 30 Euro für Sport und Kultur, was ebenfalls eine entsprechende Infrastruktur voraussetzt, sowie frühe Hilfen von der Begleitung von Eltern während der Schwangerschaft über Familienzentren - bei denen Hannover übrigens Vorreiterin ist - bis zur Schulbegleitung. - Die zweite Säule bilden Geldleistungen. Dabei sollte jedes Kind eine Basisleistung von 250 Euro erhalten, unabhängig vom Einkommen. Ergänzt werden sollte diese Leistung durch zusätzliche Gelder, die abhängig vom Einkommen sich auf bis zu 480 Euro belaufen könnten. Und schließlich würden diese Leistungen durch ein Teilhabekonto mit - wie erwähnt - 30 Euro erweitert, das alle anderweitigen Leistungen (wie Bildung und Teilhabe) abdecken sollte.
"Die eigentlich geniale Idee" hinter der Kindergrundsicherung, so führte Kerstin aus, sei gewesen: "Ich habe einen einzigen Ort, da packe ich meine Daten rein, und dieser Ort berechnet mir alle Leistungen, die mir zustehen, ohne dass ich die jeweils beantragen muss." Das wäre in der Tat ein Systemwechsel gewesen, doch die Bundesregierung, voran Bundesfamilienministerin Lisa Paus, habe das vergeigt. Die zentrale Feststellung, dass jedes Kindes gleichwertig ist, die der Idee der Kindergrundsicherung zugrundelag, sei vollständig hinter der Frage des Geldes im System zurückgetreten: : "Wenn ich ein Konzept nicht vermittele, dann kann ich den Personalbedarf dafür auch nicht plausibel darstellen." Kerstin zeigte sich deshalb radikal "ernüchtert, was unsere Regierung aus dem Thema Kindergrundsicherung gemacht hat."
In der lebhaften Diskussion erläuterte Kerstin zunächst, dass die Beträge, mit denen man ursprünglich gerechnet habe, inzwischen deutlich höher liegen dürften: "Wir wollten allerdings auch keine Einsparungen durch den Systemwechsel, sondern das Geld im System halten." Sie halte eine Kitapflicht ab drei Jahren für sinnvoll, wie jüngere Kinder betreut würden, müssten die Eltern hingegen frei entscheiden können.
Wenn Hannover sich, wie die SPD jüngst gefordert habe, sich auf den Weg zu einer familienfreundlichen Stadt mache, wäre das auf jeden Fall sinnvoll: "Man sollte das tun, aber nicht versprechen, was man ohnehin tun muss. Und man sollte das nicht verengen auf Kinder, sondern da muss der Blick sich sozialpolitisch weiten." Das bekräftigte auch unser Ortsvereinsvorsitzender Nils Greve: "Was man am Kind ausgibt, das muss man wahrscheinlich nicht mehr am Erwachsenen ausgeben."
Dafür müsse man in der Kommune allerdings auch die Infrastruktur in den Blick nehmen: in der Stadt insgesamt, im Stadtteil und in der unmittelbaren Nachbarschaft. Dabei sollte Hannover, wo in den letzten Jahren viel geschaffen worden sei (neben Familienzentren zahlreiche neue Kitas und auch Schulen neugebaut und saniert würden, wenngleich manchmal nur mit Mühen), mutig vorangehen: "Als Kommune kann ich all das schon einmal machen, ohne auf den Bund zu warten", erklärte Kerstin, die von 2006 bis 2009 jugendpolitische Sprecherin unserer Ratsfraktion war.
Wir können Armut nur aufbrechen, wenn wir denen zuhören, die es betrifft.
Unterstrichen wurde in der Diskussion, dass die Kindergrundsicherung ein "Paradebeispiel für eine tatsächliche Entbürokratisierung" gewesen wäre, die alle ständig forderten. Demgegenüber sei das Bildungs- und Teilhabe-Programm ein gutes Beispiel, "wie man nicht das macht, was das Gesetz eigentlich will; vielmehr führe die Bürokratie, die mit BuT einhergehe, zu erheblichen Mehrkosten.
Die Bürokratie, die Familienministerin Paus im Blick gehabt habe, sei überflüssig. "Wenn ich die Kindergrundsicherung ernstnehmen will, muss ich das auf die Ebene ziehen, die sich damit auskennt", stellte Volker Zimmermann aus dem Jobcenter der Region Hannover fest. In den Kommunen sei die Expertise vorhanden, die man dafür brauche: "Du darfst den Leuten nicht nur das Geld geben, sondern vor allem die Beratung - und das kann am besten die Kommune."
Kritisiert wurde in der Diskussion, dass die SPD sich aus der Auseinandersetzung um die Kindergrundsicherung herausgehalten habe: "Unsere Parteispitze und unser Kanzler haben so getan, als sei das eine Idee der Grünen gewesen, die die FDP nicht finanzieren wolle. Dabei war das eines unserer zentralen Wahlkampfversprechen", so unser früherer Ortsvereinsvorsitzender Marc-Dietrich Ohse. Damit habe man jene "Menschen allein gelassen, die es unmittelbar betrifft", kritisierte eine Genossin.
Ganz grundsätzlich wurde in der Diskussion konstatiert: "Wir können Armut nur aufbrechen, wenn wir denen zuhören, die es betrifft, und jenen, die es aus der Armut geschafft haben", so Brigitte Kumkar, stellvertretende Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Hannover-Südwest.